15.06.2022

Fressen und gefressen werden im Teich

Kaum ist der neue Gartenteich mit Wasser gefüllt, ist er schon besiedelt. Ein dünner Algenfilm wächst auf den Steinen. Muschelkrebschen und Wasserflöhe schwimmen durch das klare Wasser. Bald schon gesellen sich Schnecken wie aus dem Himmel gefallen dazu. Wenn im Frühling Grasfrösche ihre Eier ablegen, wachsen Kaulquappen heran. Alle diese Tiere ernähren sich von mikroskopisch kleinen Algen, die auf Oberflächen wachsen oder im freien Wasser als «Plankton» schwimmen. Bei Kaulquappen lässt sich besonders gut beobachten, wie sie Algen abraspeln. Ein Schwarm von Erdkrötenquappen kann einen Teich sichtbar von Algenaufwuchs befreien.

Erstbesiedler

Nach einiger Zeit treten Fadenalgen auf. Dabei spielt es eine entscheidende Rolle, welche Algenart zuerst ankommt. Sie können innert kurzer Zeit den ganzen Teich überwuchern und die Sicht zum Grund verdecken. Sie schöpfen die freien Nähstoffe im Wasser am effizientesten ab. Der hohe Eintrag von Nährstoff aus der Luft oder aus zufliessendem Wasser erlaubt ihnen eine ungebremste Vermehrung. Wenn es an Konkurrenz in Form von Wasserpflanzen fehlt, kann niemand die Fadenalgen stoppen. Vor 60 Jahren trat die heute übliche Massenentwicklung von Algen nur in seltenen Ausnahmefällen auf.

Vielfalt der Jäger

Den Erstbesiedlern folgen rasch deren Feinde. Büschelmückenlarven beispielsweise, die sich von kleinsten Wimper- oder Rädertierchen ernähren. Oder Ruderwanzen und Köcherfliegenlarven, welche Jagd auf Wasserflöhe und andere Kleinsttiere machen. An der Wasseroberfläche treffen wir Wasserläufer an, welche ertrunkene Insekten aussaugen. Unter der Wasseroberfläche jagen Rückenschwimmer nach allem was sich nahe an der Oberfläche bewegt. Zu den gefürchteten kleinen Raubtieren im Teich gehören auch Molche. Als Larven und später als ausgewachsene Tiere schnappen sie alles was sich bewegt und in ihren Mund passt. Dazu gehören auch kleine Kaulquappen. Beliebt sind aber auch Eier von anderen Amphibien.

Libellenlarven und Raubkäfer sind hoch effiziente Jäger im Teich. Wo sie in grosser Dichte auftreten, haben die trägen Erdkrötenquappen keine Chance. Dies obwohl sie giftig sind. Das Gift hält allerdings nur Wirbeltiere wie Molche und Fische davon ab, sie zu fressen. Aus diesem Grund gedeihen Erdkröten hervorragend in einem Karpfenteich. Grasfroschquappen hingegen sind schnelle und scheue Schwimmer und können ihren Feinden oft entkommen. Fische sind allerdings noch schneller, weshalb Grasfrösche in Fischteichen höchstens im dichten Schilfgürtel überleben.

Prägende Fische

Fische prägen Kleingewässer. Sie demonstrieren damit die unnatürlichen Verhältnisse in einem kleinen Teich. Denn kleine Stillgewässer, die über lange Zeit unverändert existieren, gibt es in der Natur nicht. Rotfedern beispielsweise ernähren sich von freischwimmenden Kleinsttieren, welche ihrerseits Planktonalgen fressen. Als Folge davon können sich Planktonalgen massenhaft vermehren und trüben so das Wasser. Goldfische ernähren sich wie Karpfen von Kleintieren, die sie im freien Wasser schnappen oder am Grund aufstöbern. Indem sie den Gewässergrund aufwühlen, setzen sie Nährstoffe und Schlammpartikel frei und fördern so das Algenwachstum. Die Folge ist Wassertrübung und Massenvermehrung von Algen.

Anders entwickelt sich der Teich, wenn Unterwasserpflanzen wie Laichkräuter oder Hornkraut gedeihen. Häufiger aber eingeschleppt ist die Kanadische Wasserpest. Bei starkem Wachstum entziehen sie den Algen die Nährstoffe und verhindern so die Entstehung von Algenteppichen. Das Dickicht in den Wasserpflanzen bietet vielen Tieren Verstecke und Jagdgründe. Auf diese Weise kann eine extreme Dichte von Jägern und Gejagten entstehen, bei der die konkurrenzstärksten gewinnen. Wenn ein Gartenteich jahrelang sich selbst überlassen wird, nimmt die Artenvielfalt wegen des Konkurrenzkampfs ab. So können Grasfrösche nach einer kurzen Blütezeit ganz verschwinden.

Wenn in einem grossen Teich Hechte freigesetzt werden, können sie den Fischbestand begrenzen. Vor allem verringert sich dadurch die Präsenz von Fischen in der Uferzone. Das wiederum verbessert die Chancen für Kleinsttiere.

Schau genau

Die Konkurrenz und der Frassdruck im Teich zwingt die Tiere zur ständigen Anpassung. Kaulquappen beispielsweise spüren die Anwesenheit von Molchen oder Fischen im Wasser und entwickeln einen kräftigeren Schwanz, um besser fliehen zu können und sie bewegen sich nur wenn unbedingt nötig. Der Preis dafür ist, dass sie langsamer wachsen und kleiner bleiben. Wasserflöhe wiederum können Stacheln entwickeln, damit sie von Strudlern nicht so leicht erwischt werden.

Die meisten Dramen, die sich im Gartenteich abspielen, lassen sich mit blossem Auge beobachten. Mit einer Lupe werden vielerlei Winzlinge sichtbar. Und unter dem Mikroskop eröffnet sich eine fantasievolle Welt von unerschöpflicher Vielfalt. So ist ein Gartenteich bei genauem Hinschauen das beste Ökologielehrbuch.