1.05.2023

Steine sind tot. Steinhaufen nicht lebendiger.

Steinhaufen und Trockenmauern gelten als Kostbarkeiten des Biodiversitätsschutzes. Trockenmauern gehören zu den teuersten Investitionen im Biodiversitätsschutz. Da lohnt sich ein Blick dazwischen.

Steinhaufen und Trockenmauern werden als hochwertige Lebensräume für Reptilien, Kleinsäuger, Insekten etc. gepriesen. Was aber macht diesen Lebensraum aus, ist doch das Grundmaterial tot und an den meisten Orten nicht standorttypisch. Es sind die Hohlräume zwischen und unter den Steinen, welche den Wert ausmachen und bei sonnenexponierten Steinen ist auch die Wärmespeicherung von Bedeutung.

Für die Wärmespeicherung taugen nur flache Steine, die zeitweise an der Sonne liegen und so Wärme aufnehmen und bis an die Unterseite weitergeben. Davon profitieren besonders wechselwarme Tiere. Steinplatten auf Gehwegen können diese Funktion hervorragend erfüllen. Wenn unter solchen Gehplatten Hohlräume, beispielsweise als Folge von fleissigen Mäusen oder Würmern entstehen, entstehen unter Gehplatten hochwertige Kleinstlebensräume, in denen sich verschiedne Kleinsttiere aufhalten und entwickeln kann.

Steinhaufen mit ausreichend grossen Hohlräumen bieten Aufenthaltsräume für grössere Tiere wie Schlangen oder Wiesel. Natürlicherweise finden wir solche Lebensräume in alpinen Geröllfeldern oder an Erosionsstellen. Trockenmauern wurden einst aus unterschiedlichen Gründen künstlich angelegt – nie mit dem Ziel der Artenförderung. Damit in Trockenmauern bedeutende Lebensräume entstehen, braucht es vor allem variable, tiefreichende Hohlräume, welche über lange Zeit bestehen bleiben. Die Steine selbst sind weitgehend irrelevant und meistens ortsfremd. Die Dichte von Tieren, welche in Trockenmauern leben, ist gering und lässt sich nur durch ergänzende organische Lebensräume steigern.

Was ist der Nutzen einer teuren Trockenmauer, wenn davon nur einige Kleinsäuger profitieren, aber keine Reptilien, weil die in der Umgebung nicht vorkommen? In nicht seltenen Fällen beschränkt sich der Wert von Trockenmauern auf den ästhetischen Genuss.

Was bringts, wenn wir einen Steinhaufen mitten in eine Wiese bauen? Dieser Steinhaufen wird erst über Jahre hinweg allmählich von Kleintieren besiedelt werden. Noch bevor er seinen geplanten Wert als artenreicher Kleinstlebensraum erfüllt, wächst er vielleicht mit Brombeeren oder Gehölzen zu. Seinen Wert machen dann weniger die ursprünglichen Hohlräume und niemals die Steine aus als vielmehr die organischen Ablagerungen und sekundären Hohlräume, welche verschiedenen Tieren Lebens- und Entwicklungsräume bieten. Dafür braucht es genau betrachtet die Steine nicht.

Die Entwicklung und Veränderung macht den Wert des Steinhaufens aus, nicht das anfängliche Aussehen. Für diese Entwicklung braucht es aber nicht zwingend einen Steinhaufen. Das kann aus der Sicht einer Maus oder eines Wiesels auch ein Abfallhaufen mit Ziegeln, Brettern oder Maschinen bieten. Oder ein vergessenes Holzlager oder ein umgestürzter Baum. Der Vorteil von Holz ist, dass sich daraus lebensreicher Boden entwickelt, im Gegensatz zum Stein.

Ich wünsche mir mehr kritische Fragen zur örtlichen ökologischen Funktion und zeitlichen Dimension bei der Planung von Kleinstrukturen.